Selbsthilfe

Missbrauch Münster


Anmerkungen zur (teilweisen) Rehabilitation von Herrn Zurkuhlen

Ein wichtiges Statement vorab:

Zu keinem Zeitpunkt ist Herr Zurkuhlen von Betroffenen des Missbrauchs beschuldigt worden. Dennoch haben insbesondere seine Aussagen in dem WDR-Interview viele Betroffene zutiefst verletzt, weil er ihnen darin zumindest indirekt unterstellt hat, dem Missbrauch auch etwas "Positives" abgewonnen zu haben (s.u.).

Daher kann die Mitteilung über Zurkuhlens (teilweise) Rehabilitation auf der Webseite der Münsteraner Gruppe von Betroffenen auch nicht unkommentiert bleiben.


1.    Die Form der Präsentation

2.    Inhaltliche Aspekte

3.    Kritik und Diskussion

4.     Gespräch mit dem Bischof

5.    Schlusspunkt


zu 1. Die Form der Präsentation

Als erstes fällt auf, dass der Entzug der Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, dem Bischof im letzten Jahr eine Pressekonferenz wert war. An dieser Pressekonferenz waren zwar auch damals nur Vertreter der Kirchenleitung vertreten (Bischof Genn und Pfarrer Rau). Die Betroffenen in der Verlautbarung des Bischofs (im wesentlichen Missbrauchsopfer und Gemeindemitglieder) wurden auch im letzten Jahr nur im Vorfeld einbezogen.

Bei der aktuellen Verlautbarung zur Aufhebung dieses Gottesdienstverbots gab es keine Pressekonferenz. Die Kommunikation des Bistums beschränkte sich zunächst einmal auf eine allgemeine Bekanntgabe in den Presseorganen. Eine Möglichkeit, Nachfragen zu dieser Bistumsentscheidung zu stellen, bestand folglich nicht.  Eine „Chefsache“ mit großem medialen Echo im vergangenen Sommer wird  ein Jahr später zum Randereignis degradiert, obwohl die Thematik dieselbe ist - nur mit anderem Vorzeichen. Erst im Nachhinein gab es Beiträge in den Medien, in der Gemeindemitglieder zu Wort kamen und der Interventionsbeauftragte des Bistums Stellung bezog (Das entsprechende Interview mit dem Interventionsbeauftragten in der Lokalzeit Münsterland ist nicht mehr abrufbar)

Quellen:


zu 2. Inhaltliche Aspekte

a)    Im letzten Jahr hat Bischof Genn Pfarrer Zurkuhlen untersagt, weiterhin Gottesdienste zu feiern. Verbunden war dieses Verbot insbesondere mit der folgenden Aufforderung:

„Ich erwarte von ihm eine glaubhafte schriftliche Entschuldigung gegenüber den Betroffenen, gegenüber der Gemeinde, den Kolleginnen und Kollegen, gegenüber all den Menschen, die er verletzt hat.“

Festzuhalten ist: eine solche Entschuldigung hat es bisher nicht gegeben.

Eine solche glaubhafte Bitte um Entschuldigung setzt zweierlei voraus:

1.    Der / die Geschädigte(n) werden um Entschuldigung gebeten.

2.    Der / die Geschädigte(n) haben das Recht und die Entscheidungsmöglichkeit, diese Bitte um Entschuldigung anzunehmen bzw. abzulehnen.

Schon die erste Bedingung ist nicht erfüllt worden. Im Gegenteil: Es gibt einen persönlichen Brief an den vorgesetzten Bischof, in dem Herr Zurkuhlen offensichtlich darum bittet /darauf besteht, diesen Brief nicht zu veröffentlichen. Für die eigentlichen Adressaten der Entschuldigung existiert dieses Schreiben real also nicht. Folglich gab und gibt es für sie auch keine Möglichkeit, über die Annahme dieser angeblichen Entschuldigung zu entscheiden.

„Nach Einschätzung der Verantwortlichen des Bistums handelt es sich bei diesem Schreiben um die glaubhafte Bitte um Entschuldigung“, heißt es in der aktuellen Pressemitteilung des Bistums. Selbst wenn die Einschätzung dieser Verantwortlichen des Bistums korrekt sein sollte, können sie diese Entschuldigung stellvertretend nur annehmen, wenn sie von den eigentlichen Adressaten dazu beauftragt wurden. Die Bistumsleitung bekennt aber, diesen Auftrag weder erhalten noch sich eigenmächtig dieses Mandat zugeschrieben zu haben.

Ein Mandat, das weder erteilt noch angenommen wurde, dient dennoch als zentrale Grundlage für eine bischöfliche Entscheidung, die im diametralen Widerspruch zu den vorher selbst gestellten Bedingungen steht. 

b) Ein Priester schreibt einen privaten Brief an seinen Bischof. Der Bischof erwartet von der Öffentlichkeit, den privaten Charakter dieses Schreibens zu respektieren. Gleichzeitig erklärt der Bischof dieses private Schreiben zu einem öffentlichen Beleg, indem er einzelne Versatzstücke und Worte daraus zitiert. Die Logik dieses gedanklichen Konstrukts erschließt sich nicht. Entweder ist dieses Schreiben privat. Dann geht es die Öffentlichkeit nichts an. Dann ist es auch müßig, es gegenüber der Öffentlichkeit überhaupt zu erwähnen. Oder es ist öffentlich. Dann hat die Öffentlichkeit auch das Recht, dieses Schreiben zu lesen. Und zwar vollständig!

c) Aus der Pressemitteilung geht hervor, dass es im Vorfeld eine langen Phase intensiver Gespräche zwischen der Bistumsleitung und Herrn Zurkuhlen gegeben hat. Am Ende einer solchen Diskussion könnte man in einer "glaubhaften Entschuldigung" eines Priesters Ansätze religiöser Begriffe erwarten, wie er sie selbst in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit gelehrt hat. Man könnte erwarten, dass bei ihm zu einer Entschuldigung neben dem Eingeständnis von schuldhaftem Verhalten auch ein Ansatz tätiger Reue und der Wille zur Wiedergutmachung gehört. Sich „absolut“ zu distanzieren, „erkenntnismäßig verrannt“ zu haben und die Erkenntnis „Opfer wieder zu Opfern gemacht zu haben“ sind allenfalls Rationalisierungen, die wenig überzeugen. Ansätze tätiger Reue lassen sich daraus schwerlich ableiten. Darüber hinaus gibt es zu den speziellen und provokanten Aussagen im Interview des vergangenen Jahres (s.u.) allenfalls allgemeine Hinweise auf ein Bedauern, mehr nicht. Damals hat der Bischof Folgendes zu Protokoll gegeben:

Ich zitiere im Folgenden bewusst wörtlich, was er unter anderem gesagt hat: So spricht er über die Opfer und sagt, dass er sich wundert, „dass sie so lange damit gewartet haben“ – mit „damit“ meint er offenbar das Gehen an die Öffentlichkeit. Weiter führt er aus: „Wenn Kinder wirklich so etwas Schreckliches erlebt haben bei einem Jugendkaplan, warum gingen sie immer wieder dahin, hinterher?“ Das bekräftigt er noch einmal, wenn er auf Nachfrage sagt: „Ich meine eben, wenn die Kinder immer wieder dahin gingen, hatten sie ja offenbar auch ein positives Verhältnis zu dem Mann, finde ich, sonst würden sie ja nicht hingehen.“ Und generell vertritt er im Blick auf den sexuellen Missbrauch die Auffassung, „dass es vielleicht nicht so tragisch für die Kinder war.“

Der Bischof wertete diese Aussagen im vergangenen Jahr als „Schlag ins Gesicht der Betroffenen“.

Um zu ermessen, wie unerhört diese Aussagen nach wie vor sind, sollte man vielleicht noch die Altersstruktur der Missbrauchsopfer anfügen: Die MHG-Studie weist für das Bistum Münster Folgendes aus: Es gab insgesamt 450 Missbrauchsopfer, von denen 317 namentlich bekannt sind.

„Von den Opfern waren den Angaben zufolge knapp 80 Prozent männlich und 20 Prozent weiblich. Das Alter der männlichen Betroffenen habe zwischen 4 und 21 Jahren gelegen, das der weiblichen zwischen 0 und 18 Jahren.“ 

In Anbetracht dieser Daten ist erst recht unbegreiflich, dass Herr Zurkuhlen nicht das Bedürfnis verspürt, bei den Opfern direkt um Entschuldigung zu bitten, sondern diese angebliche Bitte um Entschuldigung lediglich an den Bischof richtet.  

Aus Sicht von Betroffenen ist schon aus diesem Grunde diese „stellvertretende Entschuldigung“ nicht zu akzeptieren. Für die meisten Betroffenen wird sie vermutlich sogar als ein weiterer, unverzeihlicher Affront gegenüber den Missbrauchsopfern gedeutet werden.

Immer wieder hat der Bischof im vergangenen Jahr betont, dass bei allen Überlegungen und Handlungen der Bistumsleitung die Perspektive der Betroffenen im Vordergrund stehen muss:

 „Bei dem, was ich tue und auf den Weg bringe, versuche ich, mich davon leiten zu lassen, die Perspektive der Betroffenen und Opfer in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht nicht darum, das Ansehen der Kirche wieder zu verbessern, sondern den Betroffenen zuzuhören und ihren Anliegen möglichst gerecht zu werden.“ Ist es verwunderlich, dass Betroffene an der Glaubwürdigkeit des Bischofs zweifeln, wenn Worte und Taten derart auseinanderklaffen. Ist es nicht nachvollziehbar, dass Betroffene das Gefühl haben, dass auch der Bischof mit dieser Maßnahme „die Opfer erneut zu Opfern“ macht?

d) Weiter heißt es in der aktuellen Pressemitteilung: „Bischof Genn unterstreicht in diesem Zusammenhang noch einmal mit Nachdruck,  dass er weiterhin alles in seinen Möglichkeiten Stehende tun werde, um dafür zu sorgen, dass es in Kirche und Gesellschaft eine Haltung der Nulltoleranz gegenüber dem Verbrechen sexuellen Missbrauchs gibt.“

Der Presseerklärung dieses Statement anzufügen, mag journalistisch hilfreich sein, um diese Position zu betonen. Aus dem Sachzusammenhang erschließt sie sich sicherlich nicht. Für traumatisierte Missbrauchsopfer erst recht nicht.

e) Zugleich bleibt es dabei, dass Pfarrer Zurkuhlen sich weder schriftlich noch mündlich – gleich in welchem Rahmen – zum Thema sexueller Missbrauch äußern wird.“ Für Betroffene heißt das: Herrn Zurkuhlen war und ist es praktisch untersagt, sich an die eigentlichen Adressaten zu wenden und seine Bitte um Entschuldigung direkt vorzutragen.


zu 3. Kritik und Diskussion

Betrachtet man diese Zusammenhänge, kann nicht verwundern, dass die Aufhebung des Gottesdienstverbots auf heftige Kritik in den Medien und Leserzuschriften gestoßen ist. Wenn dieser Kritik nun begegnet wird, indem der Interventionsbeauftragte in zweifacher Hinsicht Respekt vor Herrn Zurkuhlen einfordert, verschlägt es einem die Sprache.

Der Interventionsbeauftragte fordert in einer Nachbemerkung einerseits, die private Korrespondenz des Priesters mit dem Bischof als solche zu respektieren, sie aber gleichzeitig als öffentliche Entschuldigung zu akzeptieren. Ein Widerspruch in sich, wie die obigen Überlegungen zeigen.

Die zweite Forderung stellt aber die Sachverhalte auf den Kopf: er fordert von den Betroffenen zu respektieren und anzuerkennen, dass Herrn Zurkuhlen niemals als Missbrauchstäter beschuldigt gewesen sei. Dies war aber nie Gegenstand der Diskussion, ist daher in diesem Zusammenhang ein völlig abwegiger Gedanke.

Mit dieser Wendung wird derjenige, der den Missbrauch selbst in eklatanter Weise verharmlost (s.o.), plötzlich in die Opferrolle katapultiert. Mit diesem Argument wird die Basis geschaffen, von Betroffenen Respekt gegenüber einem Mann einzufordern, der seinerseits jeglichen Respekt gegenüber den Missbrauchsopfern vermissen lässt.

https://www.wn.de/Muenster/4231540-Entscheidung-des-Bistums-Veraergerte-Reaktionen-zum-Fall-Zurkuhlen


zu 4. Gespräch mit dem Bischof

Auch bei einem gemeinsamen Gespräch Ende Oktober 2020, an dem neben Bischof Genn und den Interventionsbeauftragten des Bistums die Sprecher der Selbsthilfegruppen aus Rhede und Münster teilgenommen haben, konnten die Differenzen in den unterschiedlichen Auffassungen nicht abschließend ausgeräumt werden.

Die Vertreter des Bistums legten in der Argumentation den Schwerpunkt auf die spezielle Situation des Priesters, die eine individuell angepasste Lösung nötig gemacht hätte. Diese sei gefunden, indem Herrn Zurkuhlen in nur sehr begrenztem Umfang und nur mit fallbezogenen Sondergenehmigungen erlaubt sei, öffentliche Gottesdienste zu feiern.

Die Vertreter der Betroffenen haben nochmals deutlich gemacht, dass es ihnen nicht um den individuellen Fall des Priesters gehe, sondern darum, dass mit dem persönlich an den Bischof gerichteten Entschuldigungsbrief die Bedingungen nicht erfüllt seien, die der Bischof im vergangenen Jahr an eine Genehmigung geknüpft hatte, dem Priester das Feiern von öffentlichen Gottesdiensten zu gestatten. Die Bedingung war eindeutig formuliert: Die Bitte um Entschuldigung hätte sich direkt an die Betroffenen und die Mitglieder der Pfarrgemeinde wenden müssen, nicht an den Bischof.


zu 5. Schlusspunkt

Insbesondere für die von Missbrauch Betroffenen, aber auch für die Gläubigen in den Gemeinden legt der Fall Zurkuhlen folgende Schlussfolgerung nahe:

Auch die Ereignisse des vergangenen Jahres mit den zahlreichen Diskussionsabenden, auch das Bekenntnis von Herrn Thissen, der Offene Brief von Bischof Genn, selbst die neuesten Austrittszahlen haben zu keinem wirklichen Umdenken in der Bistumsleitung geführt.

Die Missbrauchsopfer, die Gemeindemitglieder bzw. Gläubigen spielen für die Entscheidungsprozesse der Kleriker offensichtlich keine Rolle. Offensichtlich werden sie im Vorfeld der Entscheidungen nicht einmal angehört. Die Laien bleiben in wichtigen Fragen ohne Einflussmöglichkeiten, ihnen ist von vornherein die Rolle des passiven Zuschauers zugedacht. Dabei wird – bewusst oder unbewusst – sogar in Kauf genommen, dass die Missbrauchsopfer erneut zu Opfern werden.